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Wer braucht den Eiserner Vorhang noch?

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    Wer braucht den Eiserner Vorhang noch?

    "Wer braucht den Eisernen Vorhang noch?"
    Liebe Kolleginnen und Kollegen,
    im Rahmen einer wissenschaftlichen Ausarbeitung möchte ich Euch diese etwas provokante aber ergebnisoffene Frage stellen und wäre an Eurer Meinung sehr interessiert. Ich habe einen Artikel dazu geschrieben, den Ihr untenstehend findet. Es sind auch ein paar Fragen dabei, es wäre sehr schön, wenn Ihr ein wenig Zeit findet etwas dazu zu schreiben oder wenn Ihr weiter Fragen dazu aufschreibt, die Euch einfallen. Schon jetzt vielen Dank für Eure Hilfe.

    Der Eiserne Vorhang trennt in einem Theaterbau mit Großbühne das Zuschauer- vom Bühnenhaus. Ist dieses Brandschutzbauteil in einem modernen Theaterbetrieb noch zeitgemäß oder kann es durch andere, organisatorische, oder anlagentechnische Konzepte kompensiert werden?

    In der Politik ist der Eiserne Vorhang längst gefallen und es stellt sich nach vielen Anpassungen, Verordnungs- und Gesetzesänderungen über die Jahre hinweg, die Frage: Ist der Eiserne Vorhang für die hermetische Abschottung zweier Brandabschnitte in einem Theaterbau mit Großbühnen zwischen Bühnen- und Zuschauerhaus überhaupt noch erforderlich?
    Historisch im 19. Jahrhundert begründet, nach dem verheerenden Ringtheaterbrand von Wien im Jahr 1881 erstmals gesetzlich vorgeschrieben, ist der Eiserne Vorhang in jedem Theater mit Voll- oder Großbühne in Deutschland und in vielen anderen Ländern verbaut. Er sorgt für das bauaufsichtlich grundsätzlich geforderte Abschottungsprinzip und der Aufteilung in Brandabschnitte.

    Heute, nach dem die gefährliche Gasbeleuchtung und die leicht brennbaren Dekorationen aus dem Bühnenhaus verbannt sind, sind auch zwei wesentliche Bestandteile eines Feuers, die Zündquelle und der brennbare Stoff stark reduziert. Gibt es die einst so gefürchtete „entsetzliche Gefahr der Feuergase“ [1] auf der Bühne überhaupt noch oder hat die moderne Entwicklung diese längst im Griff, d.h. unter Kontrolle?
    Zudem hat sich die Mannschaft die für den reibungslosen Ablauf im Theaterbetrieb sorgt stark gewandelt. Die vielerorts eingesetzten Seeleute, die wegen ihres geschickten Umgangs mit Tauwerk beliebte „Kulissenschieber“ waren sind durch Fachkräfte, Veranstaltungs-techniker wie Bühnen- und Beleuchtungsmeister, Betriebsingenieure und Theateringenieure mit speziell ausgerichteten Studienschwerpunkten abgelöst. Der Theaterbetrieb ist professionell in der Technik, dem Arbeits- und dem Brandschutz geworden. Eine leistungsstarke Technische Gebäudeausrüstung TGA, in Form von Beregnungsanlagen und Sprinkler sorgt für eine wirksame Brandbekämpfung, noch bevor Feuer und Rauch den Weg in das Zuschauerhaus finden.

    Die einst gefürchtete Feuerwalze, die unvermittelt in den Zuschauerraum schlägt, gibt es so nicht mehr, sie kann in der Art der Brandereignisse des 19 Jahrhunderts nicht mehr entstehen. Ist ein Brandszenario, mit einer Bühne im Vollbrand oder ein Feuer mit einer für die Zuschauer gefährlich werdender Rauchschicht, die nicht über die Rauchabzüge des Bühnenhauses abströmt, überhaupt realistisch? Die Portalöffnung, die eine bauliche Rauchschürze bildet, hält den entstehenden Rauch im Bühnenturm, ein Abströmen nach unten ist physikalisch nicht zu erwarten.

    Die vorhandenen Brandlasten im Bühnenhaus müssen in Augenschein genommen und analysiert werden. Wie hoch ist eigentlich das Gefährdungspotential? Wie hoch ist die Gefahr der Entzündung der unter ständiger Beobachtung des anwesenden, gut ausgebildeten Fachpersonals stehenden, schwerentflammbaren Kulissen und Dekorationen? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit eines Brandausbruches? Was ergibt die Gefährdungsbeurteilung?
    In den modernen Veranstaltungsstätten, den Arenen, Mehrzweck- und Messehallen gibt es den Eisernen Vorhang nicht. Der Rauch kann bei einem Brand einfach nach oben. Das Theater bietet im Zuschauerraum nicht die große Höhe wie eine Mehrzweck- oder Messehalle, hat aber den Vorteil, durch das Bühnenhaus gleich über einen Kamin zur Endrauchung zu verfügen.

    Bei geöffneten Rauchhauben zieht der aufsteigende Rauch zudem die Luft aus dem Zuschauerhaus in das Bühnenhaus hinein. Die Nachströmung als Ausgleich für die über die Rauchhauben entweichenden Gasvolumen, wie sie in der Muster-Versammlungs-stättenverordnung, in der letzten Änderung vom Juli 2014 gefordert wird, kann über den Zuschauerraum erfolgen. Nachströmöffnungen auf der Bühne sind vom Platzbedarf ohnehin schwer zu verwirklichen, sie stören den täglichen Betriebsablauf.
    Die Randbedingungen aus organisatorischem, baulichen, anlagentechnischen und abwehrendem Brandschutz haben sich in den eineinhalb Jahrhunderten des Eisernen Vorhanges enorm weiterentwickelt. Die Vorschriften zum Schutzvorhang haben lediglich die Forderung nach dem „Eisen“ aufgegeben.
    Sind es nicht vielmehr die Gefährdungen durch das tonnenschwere Torblatt, das uns Sorgen bereiten sollte? Eine schwebende Last, die über die Not-Auslösung in Bewegung gesetzt, nicht mehr gestoppt werden kann, bis sie zwar gedämpft aber unaufhaltsam auf den Bühnenboden aufsetzt.

    Es gibt wenige vergleichbare Gefährdungen im Arbeitsalltag eines Bühnenbeschäftigten oder Schauspielers. Die Forderung der Versammlungsstättenverordnung in Rheinland-Pfalz, zur Kontrolle der Funktion des Schutzvorhanges, in Anwesenheit der Feuerwehr, ist mit dem teils hektischen Treiben etwa bei einer Premiere mit dem Arbeitsschutz kurz vor der Vorstellung, konträr. Alle Beteiligten sind gedanklich an das Stück gebunden und in dieser Stresssituation soll dann der Eiserne Vorhang unter Anwesenheit der Brandwache abgesenkt werden.
    Wie reagieren die Zuschauer im Brandfall auf einen, unter lauten Glockenschlag sich absenkenden Eisernen Vorhang. Wird hierdurch nicht eine Panik provoziert, die auch eine verrauchte Bühne nicht übertreffen kann?
    In den Niederlanden gibt es die Forderung nach dem Schutzvorhang seit vielen Jahren nicht mehr, Berichte von großen Theaterbränden oder durch Brand im Bühnenhaus gefährdete Zuschauer sind dem Verfasser nicht bekannt.

    Die neuen Bauvorschriften, Musterbauordnung, Muster-Industriebaurichtlinie und viele Sonderbauvorschriften, ermöglichen durch Kompensation bauaufsichtliche Regelungen zu umgehen. Auch im Theater ist eine Modernisierung hin zu neuen Konzepten im Brandschutz gefordert.
    Moderne Hilfsmittel, wie z.B. die Simulation am Computer, zur Entfluchtung des Zuschauerraumes mit Berechnung der Personenströme, sind heute anerkannte Methoden, die einen hinreichenden Personenschutz für denkbare Brandszenarien gewährleisten können.
    Das Sicherheitsniveau muss erhalten bleiben. Es können aber durch andere, moderne Konzepte des Brandschutzes, über alle Bereiche wie bauliche und organisatorische Maßnahmen, gleichwertig die Schutzziele erreicht werden. Bei immer knapper werdenden Kassen der kommunalen oder anderer Betreiber, spielen die Kosten für den Erhalt oder den Neu-Einbau des Eisernen Vorhang einen nicht unerheblichen Faktor. Man denke nur an die vielen in die Jahre gekommenen Antriebsmaschinen der Schutzvorhänge, die vielerorts noch täglich ihren Dienst verrichten und sich von einer Sachverständigenprüfung zur nächsten retten, bis sie mangels Ersatzteilen oder fachkundigem Monteur zum stehen kommen.

    Das Gesamtsystem Theater hat sich gewandelt, doch der große schwere Dinosaurier, Eiserner Vorhang ist von der Entwicklung verschont geblieben. Die von ihm ausgehenden Gefährdungen, die große schwebende Last über Personen ist erhalten geblieben. Im Notfall, d.h. bei Notauslösung sogar ohne Kontrolle der Bewegung.
    In den fünfziger Jahren war es führenden Theatertechnikern wie Adolf Zotzmann ein Anliegen, das Spielgeschehen näher an die Zuschauer zu verlagern. Theaterbauten dieser Zeit wie z.B. das Theater Trier haben deshalb den Eisernen Vorhang bogenförmig vor dem Orchester angeordnet. Wäre der Eiserne Vorhang heute nicht mehr erforderlich, kann sich dieser Umstand sehr positiv auf die Inszenierungen in allen Theatern auswirken. Die Kunst kann ein gutes Stück näher an die Zuschauer heranrücken.

    In den Brandschutzvorschriften hat sich in den letzten Jahren viel geändert. Beispielhaft sei hier die Holzbauweise auch für größere, mehrstöckige Bauten erwähnt, eine Bauweise, die noch vor wenigen Jahren undenkbar für die Architekten und die genehmigenden Behörden war. Es ist also durchaus möglich, eingefahrene Vorschriften nach eingehender fachlicher Prüfung abzuändern und die Frage zu stellen: Wer braucht den Eisernen Vorhang noch?

    Der Autor: Andreas Jäger, Petersberg 2, 54426 Heidenburg
    Tel. 0170 632 76 55, email: jaeger-heidenburg@t-online.de

    Die im Artikel gestellten Fragen sollen im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit, Fachgebiet Brandschutz untersucht werden.
    Ich würde mich sehr freuen, wenn Ihr mir auf beiliegendem Blatt eine Rückmeldung zu diesem Artikel geben.

    Vielen Dank

    Fragen zum Artikel: Wer braucht den Eisernen Vorhang noch ? (Die Fragen sind auf Theaterleute abgestimmt.)

    Wie groß schätzen Sie die Gefahr eines Brandes mit starker Rauchentwicklung in Ihrem Theater ein ? Oder gab es schon einmal ein Schadensfeuer ?

    Wurde der Eiserne Vorhang in Ihrem Theater schon einmal per Notauslösung in einer Gefahrensituation abgesenkt ? Wenn ja: Was war der Grund, was ist passiert ?

    Gab es schon einmal Zwischenfälle oder Unfälle durch den Eisernen Vorhang ? Wurden Mitarbeiter oder Zuschauer gefährdet durch das schließende Torblatt ?

    Fällt Ihnen eine Fragestellung im Zusammenhang mit dem Eisernen Vorhang, der Brandabschottung zwischen Zuschauer- und Bühnenhaus oder dem Rauchabzug ein ?

    Hätten Sie Interesse, dass in Ihrem Theater im Rahmen dieser wissenschaftlichen Arbeit Rauchversuche durchgeführt würden? Kann ich Sie im Lauf der nächsten Jahre kontaktieren ?

    Vielen Dank für Ihre Rückantwort, die Antworten sind natürlich völlig unverbindlich, sie werden von mir diskret nur im Rahmen der wissenschaftlichen Arbeit verwendet.

    #2
    Hallo Herr Jäger,

    nicht nur die Theater, auch die Gesetze haben sich geändert. So muss der Schutzvorhang heute "nur" noch rauchdicht sein.

    Auch macht es keinen Sinn, Äpfel (alte Theaterbauten, teilweise älter als 100 Jahre) mit Birnen (modernen Mehrzweckhallen) zu vergleichen. Hier werden ganz andere Maßstäbe angelegt.

    Als "Einstiegsliteratur" empfehle ich den Frankfurter Operbrand von 1987 (www.oper-frankfurt.de) ((Admin Forum: Link auf Startseite geändert, da bisherige URL zum Artikel dort nicht mehr funktioniert)) oder den Theaterbrand in Magdeburg 1990.

    Unfälle mit Eisernen Vorhängen sind mir bisher nicht bekannt; ich habe "nur" solche mit fahrenden Kulissen erlebt.

    Gruß
    C. Lammer
    Zuletzt geändert von Admin Feuertrutz; 23.07.2018, 10:47. Grund: Link auf Startseite geändert, da bisherige URL zum Artikel dort nicht mehr funktioniert. Admin Forum, 23.07.2018

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      #3
      Hallo Hr. Lammer,
      vielen Dank für Ihren Eintrag. Es geht nur um "Äpfel", Theaterbau mit Großbühne, Bühnenhaus und Zuschauerhaus.
      Literatur: Masterarbeit "Eiserner Vorhang in Versammlungsstätten" , von mir (Download auf: www.theatergutachter.de) und gleichnamiger Artikel in Feuertrutz 6/2014 auch von mir
      Vielleicht sind Sie an einem Theater beschäftigt und können die Frage bei Ihren Kollegen ansprechen?
      Der Artikel stellt nicht "meine Meinung" dar, ich möchte nur Reaktionen provozieren, die ich irgendwie verwenden kann.
      Ich freue mich über jeden Kommentar, Gruß Andreas Jäger

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        #4
        Hallo Herr Jäger,
        ich bin Brandschutzbeauftragter in eben dieser Bühne (Städtische Bühnen Frankfurt) und war damals beim Brand fast dabei (stand um 7Uhr morgens vor der Tür und alles war voller Feuerwehr + Tatütata....)
        Der EV hat in unserem Hause verhindert, daß der Brand sich weiter über den Zuschauerraum ausbreiten konnte (auch wenn der durch die damals nicht funktionierende Berieselung des EV schwer beschädigt wurde).
        Unsere Bühne hat 40x40m - da müßte also nach MBO sowieso eine Brandwand sein - wobei der EV ja keine T90-Funktion mehr erfüllen muß (wohl auch nie hat, aber hätte sollen).
        Sie haben natürlich recht mit der Betrachtung, daß der EV auch eine Gefährdung darstellt und daß das Geschehen auf der Bühne sicher sehr deutlich sicherer geworden ist als im vorletzten Jahrhundert, als da noch Matrosen tätig waren, man keine schwerentflammbaren Stoffe kannte und die Beleuchtung mit Gas gemacht wurde. Aber: mE stellen die Deko-Teile auf der Bühne heute trotzdem noch ein erhebliches Brandpotential da - die B1-Imprägnierung ist meist eher Augenwischerei als real funktionierend. Schauen Sie sich mal einen Samthänger an, der seit 10Jahren jeden Tag abgehängt und aufgehängt wird - die Imprägnierung besteht aus Salzen - da ist nach 1-2 Jahren kein Salzkorn mehr drin und der Hänger brennt, wenn da ein Scheinwerfer ungeschickt draufscheint (selbst schon erlebt - Profilscheinwerfer produzieren einen Brennpunkt ca 30-50cm vor der Linse - das wird bei 2KW ganz ordentlich warm). In den Zügen hängen 15-20 große Stoff-Hänger oder Holzwände mit Styrophor-Kaschur - wenns da mal anfängt zu brennen, ist das ganz schnell ein Vollbrand in einem 30m hohen Raum.
        Aber auch: die Sicherheitstechnik hat inzwischen ein Niveau erreicht, bei der man die Ausbreitung eines Brandes ziemlich ausschließen kann (aber nur, wenn alles geht - und das ist der Knackpunkt....).
        Also: ich bin mal gespannt, was hier alles zusammenkommt und wo das endet.....
        Auch wenn das vielleicht konservativ ist, mir würden sich hier Fragen stellen, wo dann um den Bühnenraum drumrum die Brandwand sein soll - die Zuschauer-Raum-Türen als T90 auszuführen wäre auch kein so guter Weg - die Abschottung einer Zuschauerraum-Rückwand als Brandwand ist auch eine Aufgabe (dort sind Projektionslogen, Ton/Licht-Regieräume, etc)..... sicher alles lösbar, aber man muß sich klar sein, daß hier ein Problem verschoben wird - aber aus der Sicht eine SV für Bühnentechnik wird hiermit natürlich das Problem EV (eiserner Vorhang) gelöst.

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